Deutsch-Chinesisches Kulturnetz
23 Nov 2009 | von Teresa Lengl |
Das Deutsch-Chinesische Kulturnetz ist ein Projekt des Goethe-Instituts und der Robert Bosch Stiftung. Ziel des zweisprachigen Portals ist es, eine Informationsquelle zu Projekten, Akteuren und Tendenzen im deutsch-chinesischen Kulturaustausch zu sein, den aktiven Dialog aller Interessenten zu unterstützen, neue Partnerschaften zu ermöglichen und innovativen Ideen einen Raum zu bieten.
Informiert wird auf dieser deutsch-chinesischen Website regelmäßig über aktuelle Tendenzen in den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Bildung und Jugendaustausch sowie künstlerische Initiativen aus den Gebieten Bühne, Design, Film, Literatur und Musik.
Interviewed wurde diesmal Chris Dercon. Dabei geht es um China im Allgemeinen um Kultur und um Ai Weiwei:
16 Antworten auf “Deutsch-Chinesisches Kulturnetz”
von Eberhard Müller 23 Nov 2009 | Antworten
Ai Weiwei kann uns viel erzählen
Wie liest sich das: Der Schlag eines Polizisten auf Ai’s Kopf hatte auch sein Gutes: Ai musste nicht vor Gericht. Und Fragen beantworten. Z.B. die des Anwaltes von Tan Zuoren. Es ist Mitte August und einen Tag vor der Gerichtsverhandlung, zu der Ai von Tan Zuoren’s Anwalt nach Chengdu vorgeladen wurde (Spiegel 34/2009). Der Umweltaktivist und Schriftsteller Tan Zuoren ist der „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ angeklagt, weil er sich über die Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 geäußert hat.
Ai will uns weismachen (SZ 186/2009), dass es in dem Prozess eigentlich nicht um die „Anstiftung“ geht, sondern darum, dass Tan die Anzahl der beim Erdbeben umgekommenen Kinder recherchiert. Das tut Ai ja auch. Er ist so wie Tan Zuoren. Er nimmt es mit der chinesischen Staatsmacht auf. Und dann kommt dieser Held der Zivilcourage auch noch nach Deutschland. Und hier liegt der zweite Vorteil, den der Schlag auf den Kopf hatte: Alle großen Zeitungen Deutschlands berichten über Ai. Zwei Monate vor Eröffnung seiner Ausstellung im Haus der Kunst (HdK) in München. Bestes PR-Timing.
Ai instrumentalisiert tote Kinder, emotionalisiert uns und tritt bei uns als Gutmensch auf. Die wichtigen Fragen, die vor allem der Provinzregierung in Szechuan, insbesondere den Stadtbauämtern, unangenehm werden könnten, traut sich auch ein Ai Weiwei nicht zu stellen: Welches sind die Firmen, die diesen Tofu-Beton geliefert haben, wer trägt die Verantwortung dafür, dass damit gebaut werden durfte?
Wie findet Tan Zuoren es eigentlich, dass sich Ai an seine Arbeit hängt, sich damit im Ausland brüstet und unter den freiwilligen Helfern in China Fragebögen verteilt, die diesen Leuten auf den Zahn fühlt?
Wie beantwortet ein guter chinesischer Staatsbürger, oder ein schlechter, folgende Fragen (HdK Wand): „Wie heißen Sie? – Haben Sie Angst vor der Regierung? Erwarten Sie als freiwilliger Helfer Schwierigkeiten? – Haben Sie einen Glauben und woran glauben Sie? – Haben Sie einen Traum? Was tun Sie um ihn zu verwirklichen? – Glauben Sie, dass persönliches Engagement Veränderung bringen kann? – Wenn Sie widersprüchlichen Informationen begegnen, wem glauben Sie? Den traditionellen Medien, dem Internet oder Ihrem eigenen Urteil? – Was sind Tatsachen? Sind sie wichtig? – Was ist Ihrer Meinung nach der Sinn der Bürgeruntersuchung?“ – Fällt der Groschen?
Wie wäre es, wenn wir annehmen würden, dass Ai ein von der chinesischen Regierung inthronisierter Künstler ist? With a licence to dissident? Vielseitig einsetzbar.
Innerhalb Chinas führt er Bürgeruntersuchungen durch und übernimmt damit die Überwachung von gesellschaftspolitischen Bewegungen. China will sich wohl „so etwas wie die erste Bürgerrechtsbewegung“ (Zeit 41/2009) zulegen, mit Ai als Kontrollorgan. Zur Eröffnung der Olympiade kann er freilich nicht mehr kommen (Spiegel 39/2009). Sein Gesicht im Fernsehen? Das weiß nun jeder Chinese, dass man zu so einem Ereignis nur dann eingeladen wird, wenn man der Macht ganz nahe steht.
Und außerhalb Chinas? Endlich! Mit der Einladung zur 12. Documenta kommt Bewegung in die chinesisch – deutschen Beziehungen. Ai öffnet einen Blog und kommuniziert. Auch über Demokratie und Menschenrechte. Er fotografiert. Alles und jedes. Ungefragt stellt er alles und jeden ins Internet (FAZ 99/2009). Zweifelsohne ist hier ein ganz großer Künstler am Werk. Um als glaubwürdiger Regimekritiker zu gelten, muss der Blog natürlich oft genug gesperrt werden. Das hätte man am Anfang beinahe vergessen. Jetzt klappt’s aber ganz gut. (FAZ 99/2009; SZ 186/2009)
Wundern wir uns noch, dass ausgerechnet die Architektengruppe, deren Berater er war, den Wettbewerb um den Bau des Olympiastadions in Peking gewonnen hat?
Was fehlt noch? Dass Ai das HdK mit künstlerischen Mitteln nicht zu bespielen weiß und auch gar nicht erst versucht, sondern nur auf PR angewiesen ist und auf später noch irgendwie verhökerbare Ware, zeigt die Ausstellung zur Genüge. Was sagt Chris Dercon, Verfechter des Kritischen Rückbaus im HdK, eigentlich zum Teppich? Muss er den jetzt behalten?
Kunst und Kultur besitzen unter Chinas Politikern einen hohen Stellenwert. Das HdK wurde von Ai nicht wegen seiner Geschichte gewählt, sondern wegen seines Direktors. China nimmt nur die Besten ihrer Zunft. Dercon’s Macht in der europäischen Kunstwelt und sein PR-Können garantieren größtmögliche Aufmerksamkeit. Und damit ist Ai Chinas Brückenkopf in Europa.
Ai’s Sermon aus fernöstlich eingefärbten Platitüden, Lügen und Richtigem sind schwer zu entziffern. Kein Vorwurf an niemanden! Solange wir Doppelzüngigkeit und Verstellungskünste nicht erkennen und Paroli bieten können, sollten wir kulturelle Dialoge ruhen lassen. Unsere Schallplatte „Menschenrechte in China“ hängt ohnehin schon seit langem.
Standpunkte sind gefragt: Eindeutige, beständige, dem Menschen verpflichtete, wehrhafte. Demokratische Standpunkte eben, europäische. Dann kommen Dialoge von selbst.
Ai: „Das HdK soll ein Schlachtfeld sein.“(Zeit 41/2009) und „Meine Botschaften sind temporär und sollten nicht als permanent betrachtet werden. Und, wie der Wind, werden sie auch vergehen. Ein neuer Wind wird kommen.“ (HdK Wand)
Ja, die Schlacht um Einflussnahme und Abhängigkeiten ist eröffnet. Wir haben’s nur noch nicht gemerkt.
Eberhard Müller
November 2009
von Elena Heitsch 24 Nov 2009 | Antworten
Mal angenommen, Ai Weiwei wäre tatsächlich ein so genannter Staatskünstler: Wie würde man dann erklären, dass sein Erfolg, gemessen in Ausstellungsangeboten und öffentlicher Aufmerksamkeit, so spät kam? Denn im Grunde ist Ai Weiwei – inzwischen über fünfzig Jahre alt – erst mit der documenta 2007 international bekannt geworden. Hätten seine chinesischen Förderer tatsächlich geduldet, dass er in all den vorangegangenen Jahren wie z.B. seiner Zeit in New York verglichen mit anderen (Staats-)Künstlern relativ wenig Aufmerksamkeit erzielt hat? Oder wollten sie erst 2007 anfangen ihn zu fördern? Warum aber hätte sich Ai Weiwei ausgerechnet 2007 noch auf ein solches Angebot einlassen sollen? Und wie verträgt sich eine immerhin lebensgefährlich gewordene Kopfverletzung mit dem Status des Staatskünstlers?
Als ich Ai Weiwei als Pressesprecherin des Haus der Kunst in den Wochen vor der Ausstellung begleiten konnte, stand für mich seine Integrität und sein moralischer Anspruch an sich selbst und auch an seine Kollegen immer außer Zweifel. Und: Die Medien suchen seine Präsenz ebenso wie er die Medien. Es ist ein für beide Seiten selten fruchtbares Verhältnis. Wird man ihm gerecht, wenn man ihm das vorwirft?
von josef h. 25 Nov 2009 | Antworten
jo, und die raf war vom innenministerium gesteuert, der 911 war ein aktion der amerikaner und der papst ist moslem. prost!
von Eberhard Müller 25 Nov 2009 | Antworten
Einerseits ist es richtig beruhigend zu lesen, dass Chris Dercon die Bücher von Francois Jullien lesen muss, damit er die Arbeit von Ai versteht.
Ein Mann mit umfassendsten Kenntnissen in Kunstgeschichte und Kunsttheorie, des Bildzitates mächtig wie kaum ein anderer, mit jahrzehntelanger Erfahrung in der WESTLICHEN Kunstwelt, dessen Qualitätsurteil man blind vertrauen kann, muss sich erst in die Materie einarbeiten. Er versteht eigentlich nicht so genau, was dieser ihm da vorsetzt. Gott sei Dank!
Andererseits muss ich doch den Zeigefinger heben (ich darf das, ich hab graue Schläfen): junger Mann, Chris Dercon, spätestens seit einem Jahr wissen wir: nur (Finanz-)Produkte kaufen, die man versteht. Und noch ein Tipp: Lernen nein zu sagen.
Freundlichst
Eberhard Müller
von Laura Hilbe 25 Nov 2009 | Antworten
Gerade im SZ Zusatzheft “München erleben” gelesen: Chris Dercon ist der Münchner des Jahres! Und das weil er es schafft großartige Ausstellungen ins Haus zu holen. Von Margiela bis Anish Kapoor, dass muss man erst mal schaffen…
von Eberhard M. 26 Nov 2009 | Antworten
An Elena Heitsch: Ich halte Ai für einen von der chinesischen Regierung inthronisierten Künstler. Vielleicht sollte ich genauer formulieren, von der Regierung, von langer Hand vorbereitet, als „Künstler“ für Auslandskontakte installiert. With a licence to dissident (James-Bond-Fan, so wie ich, sind Sie nicht, das habe ich schon gemerkt;)
Für einen Staatskünstler halte ich Ai nicht. Ich halte ihn noch nicht mal für einen Künstler. Dafür sind die meisten der ausgestellten Arbeiten zu knapp von künstlerischem Denken durchwirkt.
Und die Arbeiten, die die Handschrift eines Künstlers verraten, sind nicht von ihm. Da er kein technisches Können hat, überlässt er vieles seinen Helfern. Die aber sind Meister ihres Faches und gerne würde man von ihnen mehr sehen.
Meine tiefe Verbeugung vor dem Meister der Keramik, der „Prototype Of A Wave“ gezaubert, gezaubert und nochmals gezaubert hat (besonders die, die 2007 in Kassel zu sehen war). Meine Verehrung!
Also Staatskünstler wird Ai beim besten Willen nie werden, da legt das chinesische Kultusministerium etwas höhere Maßstäbe an.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Zitat von Ai Weiwei hinweisen, dass an einer Wand im Haus der Kunst zu finden ist.
Ai: „Ich bekam den Eindruck, dass ich mich für eine Arbeit mehr begeistern kann, wenn ich selbst nicht zu tief drinstecke: So wird mich das Ergebnis immer überraschen. Deshalb begann ich mit verschiedenen Handwerkern und traditionellen Meistern zusammenzuarbeiten, etwa bei den Keramik- und Tee- Arbeiten, die alle von hochqualifizierten Fachleuten für traditionelles chinesisches Handwerk hergestellt wurden. Es ist spannend für mich, wenn ich nur sehr vage die Kontrolle behalte oder sie sogar ganz aufgebe, irgendwohin verschwinde und schaue wie weit die Arbeit von alleine gedeiht. (…) Ein Tischler weiß besser über Holz Bescheid, der Teefabrikant weiß mehr zu Tee, es ist kollektive Weisheit.“
Nein, guter Junge Weiwei! Die Arbeit gedeiht nicht von alleine, die wird von Menschen verrichtet. Wie viel Prozent Anteil bekommen diese traditionellen Meister von Deinen Gewinnen, die Du mit ihren Arbeiten auf dem europäischen Kunstmarkt machst?
Und es ist auch nicht kollektive Weisheit, sondern individuelle Weisheit. Deine Helfer wissen und können etwas, und Du nicht.
Da scheint mir doch einer noch in ganz feudalen Strukturen zu leben und zu denken.
Aber im Ausland immer groß Individualität und Freiheit in China fordern.
Gib Deinen Meistern ein Gesicht, einen Namen und, da Du immer von Transparenz redest, zeig uns wie viel Renminbi du auf ihr Konto einzahlst! Sonst sieht das Ganze mehr nach anonymer Fronarbeit zu Kaisers Ehren aus.
Und noch etwas, die 1001 Documenta-Stühle: Wer sitzt heute drauf, wie viel hat ihn das gekostet und wer hat kassiert? Kann mir jemand diese Frage beantworten?
Eberhard M.
von Eberhard M. 26 Nov 2009 | Antworten
Auch ich freue mich über diese Anerkennung für Chris Dercon. Er hat sie redlich verdient und sie ist ihm von Herzen gegönnt.
Und gerade deshalb, weil ich der Ansicht bin, dass Chris Dercon diese SZ-Auszeichnung verdient hat, bin ich froh zu lesen, dass er die Schriften Francois Jullien’s liest, um die Arbeiten von Ai Weiwei zu verstehen.
Und ich bin geradezu erleichtert, dass man im Spiegel (39/2009; S.142; Susanne Beyer) lesen kann:
Dercon erzählt, wie Ai Weiwei ihn ansprach und sagte: „I need a big show.“
Damit wird er nicht zum Einladenden, sondern er wird von Ai Weiwei dazu aufgefordert, genötigt, für ihn eine Ausstellung zu organisieren.
Und warum sollte Chris Dercon keinen Documenta-Künstler ausstellen?
Auf dass Chris Dercon 2010 wieder „Mann des Jahres“ wird, und dann nicht nur von den Münchnern!!
Die Mauern Chinas sind hoch. Roger M. Buergel kann auch nur nehmen was ihm angeboten wird.
Versteht Ihr mich endlich? Eberhard M.
von Eberhard M. 26 Nov 2009 | Antworten
josef h., für sie ist Ai Weiwei sicher unser neuer kunst-dalai-lama.
eberhard m.
von josef h. 28 Nov 2009 | Antworten
@ eberhard m: weiwei ist ein weltkünstler, das geht weit über die dimension, philosophie und den horizont eines “staatskünstlers” hinaus. sein (im osten fundierter und im westen geschulter) blick richtet sich auf china und offenbart uns unbedarften wesentliche kritikpunkte und positionen. wo sich hier chinesische staatskunst (im sinne des regimes) offenbaren soll, kann ich nicht verstehen. weiwei ist sicher nicht mein dalai lama. a rose is a rose is rose. und jede zeit hat die künstler, die sie verdient!
von Eberhard M. 2 Dez 2009 | Antworten
Elena Heitsch, Sie schreiben: „Die Medien suchen seine Präsenz ebenso wie er die Medien. Es ist ein für beide Seiten selten fruchtbares Verhältnis.“ Sie fragen mich: „Wird man ihm gerecht, wenn man ihm das vorwirft?“
Meine Antwort ist: Brückenköpfe werden heutzutage immer in den Medien errichtet werden. Und ein gut funktionierender Brückenkopf wird als solcher nicht zu erkennen sein.
„Darum dreht doch die Freiheit: alles in Frage zu stellen.“ Ai Weiwei
Die Freiheit gegen den Strich zu denken, und alles, aber auch alles, was unser Bild von Ai Weiwei ausmacht, in Frage zu stellen, habe ich mir genommen,
1. weil ich weiß, dass Chris Dercon immer inhaltlich anspruchsvolle Kunst ausstellt,
2. weil ganze Seiten Berichterstattung in allen wichtigen Tages- und Wochenzeitungen, wie Ai sie bekommen hat, einem Mercedes im Nachrichtenwesen gleichkommen. Und chinesische Funktionäre, egal ob aus Politik, Wirtschaft oder Kultur, nun mal Mercedes fahren wollen.
3. Weil es kein Zufall sein kann, dass jeder aus Europa, der, von höchster kultureller Ebene kommend, mit China in Kontakt tritt, es mit Ai Weiwei zu tun bekommt:
Roger M. Buergel als Leiter der Documenta; die Architekten Herzog de Meuron während des Wettbewerbs um den Bau des Olympiastadions, den sie gewinnen(!); auch der Diplomat Uli Sigg gehört dazu, und der Museumsleiter Chris Dercon. Immer wird Ai serviert. Immer wird Ai als das serviert, was gebraucht wird. Fällt das nur mir auf?
4. Ebenso fällt auf, dass Ai seinen Blog beginnt, als öffentliches Auge und Ohr garantiert sind: nämlich 2006, ein Jahr vor Eröffnung der 12. Documenta. (FAZ 99/2009, S.29)
Doch den größten Mut, meinen Verdacht öffentlich zu äußern, machten mir die Zweifel von Journalisten:
Allen voran Hanno Rauterberg in der Zeit (41/2009). Er schreibt:
„Viel wird in China nun geredet über diesen Mann, der sich das Fragen und Forschen nicht verbieten lässt. Und so mancher wundert sich, dass Ai nicht längst eingesperrt wurde wie so viele andere Widerständler.“
Susanne Beyer im Spiegel (39/2009):
„Er legt sich an mit der Staatsmacht. Das interessante daran ist, dass er so lange unbehelligt blieb.“
Mark Siemons in der FAZ (99/2009; 29.04.2009)
„Oft ist gerätselt worden, weshalb sein Blog, von punktueller Zensur abgesehen, bislang unbehelligt geblieben ist, während anderen, geschweige denn Zeitungen, die gleichen Themen nicht erlaubt sind.“
Niklas Maak, ebenfalls FAZ (235/2009)
„… und wenn etwas irritiert, dann seine Fähigkeit, einerseits als Regimekritiker auf zu treten und andererseits ebendiesem Regime mächtige Ikonen zu schaffen. … Auf eine seltsame Weise ist er jetzt doppelt präsent in den widerstreitenden visuellen Kulturen seines Landes …“
Volle Sehkraft entwickelten meine Augen nach dem Lesen des Artikels „Land der Zensur“ von Thomas Steinfeld (SZ, 212/2009, S.11). Für alle am Thema interessierten sehr zu empfehlen.
So sehr ich Ai Weiweis Position als „Künstler“ bekämpfe, so sehr möchte ich ihn als private Person beschützt wissen. Wenn er als das wichtigste ausführende Rad im außenpolitischen Getriebe seiner Regierung, das er auch gerne und mit Überzeugung gewesen ist, nicht mehr funktioniert, wird er seinen Oberen nutzlos und damit ist er in Gefahr. Dann kann es nämlich sein, dass er in unseren Augen als Dissident, der Kindernamen zählt, verhaftet wird, man sich seiner aber entledigt aus ganz anderen Gründen. Als private Person müssen wir Ai Weiwei beschützen.
Nachtrag zu Punkt 1: falls ich wieder zu sehr durch die Blume sprach:
Eben weil Chris Dercon immer anspruchsvolle Kunst ausstellt, muss man genau nachfragen, wie es kommt, dass er „die Arbeiten von“ Ai Weiwei ausstellt. Die Antwort findet sich im Spiegel (39/2009, S.142):
„Dercon erzählt, wie Ai Weiwei ihn ansprach und sagte: „I need a big show.“
Und auch die Feststellung Mark Siemons in der FAZ (99/2009, S.29) gibt zu denken: „Dabei denkt er nicht allein an China; seine Öffentlichkeits-Kunst soll sich auch anderswo bewähren. Dieser Mann, dessen Bauch und Bart heute jeder kennt, wird mit seinen Fragen, die die vorhandenen Differenzen sowohl akzeptieren wie überschreiten, auch im Westen etwas verändern.“
Beachten Sie dazu auch die Einschätzung von Chen Danqing in „Eiserne Harmonie“ (SZ, 157/2009, S.13).
Wenn wir Europäer der Ansicht sind, dass im Westen etwas verändert werden muss, wollen wir Ai Weiwei gerne dabei helfen. Aber nach europäischen Spielregeln, und im Bewusstsein, dass wir einem Vertreter des chinesischen Außenministeriums/ Abt. Kultur helfen, etwas im Westen zu verändern.
Eberhard M.
von Eberhard M. 2 Dez 2009 | Antworten
An Josef H.: Auch ich halte Ai Weiwei nicht für einen Staatskünstler. Bitte lesen Sie dazu meine Antwort an Elena Heitsch vom 26.11.09 und vom 2.12.09.
Bitte nennen Sie mir einige Punkte, an denen Sie erkennen, dass Ai ein Weltkünstler ist?
Eberhard M.
von josef h. 3 Dez 2009 | Antworten
Was einen Künstler wie ai weiwei zum weltkünstler macht? dass seine konzepte, ideen und produktionen
einen ästhetischen oder intellektuellen horizont erreichen, der über das subjektive, regionale, landestypische hinausreicht. dass er gekonnt mit den mechanismen und erscheinungsformen verschiedenster kulturkreise arbeiten und darin offenbart, das er die zentralen ansetzungen der kunstgeschichte begriffen hat und in der lage ist, diese fortzusetzen. dass seine rezeption international ist und er mit seinen arbeiten eine reputation erreicht, die ihn in die wichtigsten
ausstellungen, museen, messen, galerien, foren, publikationen führt. dass er ein internationales publikum tief berührt und inspiriert. gott, diese
liste wäre endlos weiter zu führen …
von Eberhard M. 10 Dez 2009 | Antworten
Ai Weiwei, öffne das Tor und zeige uns Chinas Künstler!
Mitte der 90er Jahre besuche ich einen chinesischen Geschäftsmann in Peking. Da er mein Interesse für Kunst kennt, will er mich einige chinesische Künstler kennenlernen lassen. In der Kunstszene selbst nicht zu Hause, macht er sich auf die Suche. Als erster Ansprechpartner wird ihm Ai Weiwei genannt. Es heißt, dieser habe viele Kontakte zu chinesischen Künstlern.
Wir treffen Ai Weiwei in einem Apartment in Peking. Nach einem etwa einstündigen Kennenlern-Gespräch gibt er uns beim Abschied eine Liste mit Namen von Künstlern. Wir besuchen sie in Peking und in Shanghai. Einer von ihnen sagt uns, dass die wirklich großen Künstler auf dieser Liste fehlen. Nun, sei’s drum. Einen ersten Eindruck moderner Kunst in China habe ich bekommen.
Sehr überrascht bin ich, als ich einige Jahre später höre, dass Ai Weiwei als chinesischer Künstler zur 12. Documenta nach Kassel eingeladen wird. Ai Weiwei Künstler? Er stellte andere als Künstler vor, nicht sich selbst. Er war derjenige, der meine Intention, chinesische Künstler kennenlernen zu wollen, prüfte und eine Auswahl traf.
Ist es möglich anzunehmen, dass an einer solchen, für China traditionell empfindlichen Schnittstelle wie es die Begegnung mit Ausländern darstellt, eine Privatperson steht, ein Künstler, gar ein Regimekritiker? Viel einleuchtender ist es doch zu vermuten, dass diese Position ein Regierungsfunktionär einnimmt.
Als die ganz Großen kommen, der Documenta-Leiter Roger M. Buergel, die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, der Direktor des Hauses der Kunst Chris Dercon, da entscheidet Ai Weiwei, sich selbst als Künstler zu empfehlen. Eine Entscheidung, von der man kaum annehmen kann, dass er sie alleine getroffen hat. Aus dem doorman wird der front man. Befand er sich jemals im Wettbewerb mit anderen Künstlern?
Ai Weiwei wird den „big names“ der europäischen Kunstszene, als das angeboten, was sie suchen: als chinesischer Künstler. Und weil große Namen immer Großes brauchen, gilt er bald als größter und wichtigster chinesischer Künstler der Gegenwart.
Und weil wir gerne Regimekritikern anderer Länder die größtmögliche künstlerische Authentizität zuschreiben, wird er auch das noch für uns und nimmt oft genug Schlagworte wie „Menschenrechte“ und „Demokratie“ in den Mund. Die chinesische Regierung ärgert er damit nicht. Die weiß, womit man uns füttern muss, damit wir anbeißen.
Andere seiner Landsleute lässt er „Fick mein Mutterland“ aufsagen. Was so viel auch nicht bedeutet, weil Chinesen, genauso wie wir, Heimat als Vaterland bezeichnen und „ta ma de“ („Fick deine Mutter“) ein zwar sehr grobes, aber durchaus gängiges Schimpfwort in China ist. Können wir sicher sein, dass die Sprecher das, was sie sagen, so meinen, wie Ai Weiwei will, dass wir denken, dass sie es meinen?
Die Regimekritik ererbt von seinem Vater. Meine Ehrfurcht vor Verstorbenen hätte mich beinahe zum Schweigen gebracht, wüßte ich nicht, dass ein Schicksal wie das der Familie Ai zum alltäglichen Drama der 60er und 70er Jahre gehörte. Für viele Chinesen. Dazu musste man nicht Regimekritiker sein. Leider.
Und noch eine Frage. Wer sitzt heute auf den 1001 Documenta-Stühlen, wie viel hat ihn das gekostet und wer hat kassiert? Und in welchem Kaufhaus können wir ab 18. Januar 2010 die über 9000 wetterfesten Rucksäcke, die jetzt die Front des Hauses der Kunst in München zieren, käuflich erwerben?
Wozu das Ganze? Was wird bewirkt, wenn der Pförtner des Reiches der Künstler zum Premium-Künstler eben dieses Reiches wird?
Die Funktion Ai Weiwei’s als Torwärter findet ihre Vollendung. Das Tor schließt sich. Die hinter dem Tor sind für Jahre ausgegrenzt. Keiner kann raus, keiner von uns will rein. Bis der Ai-Hype vorüber ist. Und der hat gerade erst begonnen. Das Karussell des europäischen Kunstspektakels ist angeworfen. Bis es zum Stehen kommt, sind Jahre vergangen. Wer fragt noch nach chinesischen Künstlern? Wir haben wonach wir suchten: Einen großen Künstler aus dem Reich der Mitte, Regimekritiker in 2. Generation obendrein.
Torhüter kennen zwei Bewegungsrichtungen: Tor zu, Tor auf. Ai Weiwei, öffne das Tor und zeig uns Chinas Künstler!
Eberhard M.
von Eberhard M. 14 Dez 2009 | Antworten
So, Herr Ai, jetzt geht’s ans Eingemachte.
1. Das Foto
Hanno Rauterberg sollte seiner Wahrnehmung ruhig vertrauen.
Er schreibt: “Ai Weiwei zückt die Kamera, als die Polizisten ihn abführen, er fotografiert sie und sich, als wären sie gemeinsam auf einem Ausflug. Alle Welt soll dieses Bild sehen: den Schrecken und seine Antwort darauf, Unerschrockenheit.” (ZEIT 41/2009, S.49)
Es geht um das Foto, das – überdimensioniert – in der Ehrenhalle des Hauses der Kunst hängt und im 2€-Katalog auf Seite 1 zu sehen ist. Auch ohne Kunstmarkt soll es das Zeug zur Ikone haben. Man sieht es in Nachfolge von Warhols Suppendosen oder Damien Hirsts Totenkopf aus Diamanten (Spiegel 39/2009).
Es geht um das Foto, das uns als Beweis dienen soll, dass “Ai Weiweis Gesamtkunstwerk revolutionär ist” und dass “Ai Weiwei tatsächlich den Kampf aufnimmt gegen ein Regime” (Spiegel 39/2009, S.142).
Was sehen wir auf dem Foto?
Ai Weiwei steht in einem Lift mit einem Rockstar und einem Polizisten.
Der Rockstar ist uns hiermit namentlich vorgestellt. Der Polizist wendet sich von Ai ab, zieht die Möglichkeit ihn vom Fotografieren abzuhalten gar nicht in Erwägung oder findet, dass ihn das weiter nichts angeht.
Der Lift ist rein zufällig verspiegelt, nur deshalb können wir sehen, dass Ai Weiwei es ist, der “tatsächlich den Kampf aufnimmt gegen ein Regime” (Spiegel 39/2009), indem er mit dem Handy ein Foto von sich, einem Rockstar und einem Polizisten schießt.
Und was hören wir?
Zwei Monate vor Ausstellungsbeginn hören wir zuerst Ai’s Stimme aus dem Off:
“Sie hatten Schlagstöcke, einer schlug mir ins Gesicht.” (Spiegel, 34/2009, S.123)
Wenig später hören wir die Stimmen mehrerer Journalisten aus dem Off:
- “Laut der Agentur AP schlug ein Polizist Ai Weiwei ins Gesicht …” (SZ, 186/2009)
- “dort, in Chengdu, hatte ihm ein Zivilbeamter auf den Kopf geschlagen.” (FAZ, 235/2009)
- “Vor fünf Wochen ist Ai Weiwei in der chinesischen Provinz Sichuan von Polizisten verprügelt worden.” (Spiegel, 34/2009)
- “Als er im chinesischen Chengdu einen Menschenrechtsaktivisten unterstützen wollte, wurde er von einem Sicherheitsbeamten geschlagen …” (SZ, 233/2009)
Und zum Abschluss, nun in München, schickt Ai seine Stimme nochmals ins globale Off: “Ai Weiwei liegt in seinem Bett und glaubt, dass es die Schläge der Polizisten waren. Er sei, sagt er in sein Handy, nie gestürzt, nichts anderes sei passiert, es könnten nur die Schläge sein. Nach der Operation hat Ai diese Botschaft hinaus in die Welt geschickt.” (Spiegel, 39/2009)
Ein Bild – und Stimmen aus dem Off: Thema des ersten Semesters einer Filmhochschule.
Auch ein Erstsemester war am Werk beim Film über Ai Weiwei, den man im Foyer des HdK in halbstündiger Wiederholung sehen kann. Man beachte die Stelle, in der es Turbulenzen gibt und wie Ai Weiwei mit Unerschrockenheit auf die Staatsgewalt reagiert!
Hat Ai der Deutschen Welle das Filmmaterial zur Verfügung gestellt oder haben die das selbst so geschnitten?
Wir gehen davon aus, dass sich die Ärzte zu 100% sicher sind, dass es keine inwendigen Ursachen für Ais Bluterguss im Kopf gibt.
Ai Weiwei glaubt, dass es die Schläge der Polizisten waren. (Spiegel, 39/2009)
Ich weiß, dass uns der Täter unbekannt ist.
Ich glaube, dass es auch ein Unfall gewesen sein könnte oder ein anders motivierter Überfall zu einem näher an die Münchner Ausstellung gelegenen Zeitpunkt (evtl. zusätzlich zum ersten).
Ich folge Ai Weiwei, wenn er Susanne Beyer schreiben lässt: “Vielleicht ist es der Ruhm als internationaler Künstler, der ihn schützt, aber von dem die Polizei in Sichuan nichts wusste.” (Spiegel, 39/2009). Dann war es ein Super-GAU in der Kommunikation zwischen Provinzregierung in Szechuan und Zentralregierung in Peking.
Ich folge Ai Weiwei immer nur dann voller Überzeugung, wenn er sagt:
“Liberty is about our rights to question everything.” (2€-Katalog, S.22)
“Darum dreht sich doch die Freiheit: alles in Frage zu stellen.” (FAZ 99/2009, S.29)
Eberhard M.
von hans b. 15 Dez 2009 | Antworten
darf jemand wie eberhard m., ein unbekannter hinter einem kürzel, vermeintlicher chinakenner, vielleicht auch staatsspitzel, den künstler ai weiwei derart kritisieren? er darf es wohl. kunst passiert öffentlich und muss die diskussion provozieren. aber ein schicksal zur billigen erstsemesterepisode an einer filmhochschule zu erklären, ist maßlos. man ist versucht zu konstatieren, dass die deutschen im (v)erklären von politischen, historischen, künstlerischen situation ja bestens geübt sind. so sorry!
von Eberhard M. 22 Dez 2009 | Antworten
So, Herr Ai, jetzt geht’s ans Eingemachte.
2. Der Teppich und Wurzeln und Äste
Man macht sich ja so seine Gedanken. Wo soll der Teppich nach der Ausstellung hin? Er passt eigentlich nur ins Haus der Kunst. Oder in Wohnzimmer mit braunen Wänden.
Aus dem Haus der Kunst muss er raus, hier hat man kein Ankaufbudget und Chris Dercon will ab dem 18. Januar 2010 mit dem „Kritischen Rückbau“ weitermachen.
An Wohnzimmer mit braunen Wänden muss man nicht denken. Der Teppich ist von einem chinesischen Dissidenten. Da blättert die umgebende Wandfarbe schnell ab. Wohin also mit dem Teppich nach der Ausstellung?
Ganz einfach!
Werner Spies ist begeistert von diesem Teppich und er wird etwas darüber schreiben. Schon liegt das gute Stück in einem Museum. Neben den Klassikern der europäischen Moderne.
Um den Teppich müssen wir uns keine Sorgen machen. Geadelt durch Teilnahme an einer Ausstellung im Dercon’schen Haus der Kunst und besprochen von Werner Spies wird der Teppich dafür sorgen, dass Ai Weiwei immer auf angenehm goldenem Boden laufen können wird.
Mit welchen Sammlungen ist man denn schon im Gespräch, Herr Dercon? Sauber is er ja. Leisetreten durften wir in der Ausstellung glücklicherweise nicht.
Ist der Teppich die Arbeit, mit der sich Ai „mit dem nationalsozialistischen Erbe des Baus“ beschäftigt (FAZ, 99/2009)? Ein Trompe-l’œil! Konzeptueller Tiefstgang, alle Achtung, Herr Ai. Und Werner Spies schreibt noch was dazu. Da kann nichts mehr schief gehen.
Gibt es noch eine Arbeit, mit der unser chinesischer Dissident „seine Auffassung zu Autorität und Macht“ formuliert, wie im 2€-Katalog auf Seite 9 von Chris Dercon und Julienne Lorz angekündigt?
Oder „harmonisiert“ sich Ai Weiwei schon (SZ, 157/2009)? Das braucht er in Deutschland nicht. Wir warten noch immer auf seinen Fanfarenstoß „Das Haus der Kunst soll ein Schlachtfeld sein.“ (Zeit, 41/2009). Einen knappen Monat hat er noch.
In meinen Augen dient der Teppich als eine Art Sockel, um die unzähligen Wurzeln und Äste zu präsentieren. Was passiert mit dem Holz nach der Ausstellung? Wo kann man es kaufen? Wie viel muss man dafür bezahlen? Und wer kassiert?
Dieselben Fragen, die sich auch bei 1001 Documenta-Stühlen und 9000 Rucksäcken stellen.
Wurzeln und Äste sind sehr schön. Man kann sich vorstellen, wie sie als Meditationsobjekte gut funktionieren und nicht nur in China begehrt werden wollen (FAZ, 235/2009). Im HdK tun sie uns jedoch nicht viel, außer gefallen. Zu Ware degradiert, stehen sie da, Wurzel neben Wurzel, Ast neben Ast. In der großen Halle des HdK scheinen sie einen Zwischenlagerplatz gefunden zu haben. So wie vor zwei Jahren die 1001 Stühle in den Documenta-Hallen.
Und Ai Weiwei wartet auf den Wind, auf den Wind der Wertsteigerung. Eine dreimonatige Einzelausstellung im Dercon’schen HdK ist an und für sich schon wertsteigernd. Da muss Chris Dercon am Ende der Ausstellung nur noch ein paar Mal ordentlich pusten und schon kann Ai fröhlich sagen, „sein Kunstwerk sei nun vollendet, es sei jetzt viel besser und außerdem doppelt so viel wert“ (Spiegel, 39/2009). Nur „doppelt“ ist unterschätzt.
Eberhard M.